Votation du 7 mars 2021 sur l’initiative populaire "Oui à l’interdiction de se dissimuler le visage"

Berne, 19.01.2021 - Conférence de presse du 19 janvier 2021

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Guten Morgen geschätzte Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Interesse. Es hat auch Herren, die anwesend sind, aber sinnigerweise scheint dieses Thema mehr Frauen zu beschäftigen. Ich freue mich, dass Sie so zahlreich da sind.

Vor einem Jahr war das für uns noch unvorstellbar, dass wir wegen der Coronakrise jetzt hier alle Masken tragen, dass ich sogar mit einer Maske spreche. Ich weiss nicht wie es Ihnen geht, aber ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass man die Mimik des Gegenübers nicht sieht. Das führt manchmal zu einer gewissen Unsicherheit, weil man nicht wirklich deuten kann, ist die andere Person jetzt einverstanden, ist sie nicht einverstanden. Das ist sicherlich nicht ganz einfach. Es ist in der Tat so, dass wir uns ins Gesicht blicken möchten, wenn wir uns treffen, dass wir auch sehr viel aus dem Gesicht lesen in unserem Verhalten.

In diesem sehr ungewöhnlichen Kontext bereiten wir uns jetzt auf die Abstimmung vom 7. März über die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" vor. Die Initiative will die Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum verbieten. Also beispielsweise auf der Strasse, in Restaurants, im öffentlichen Verkehr und in der freien Natur. Die Initiative sieht Ausnahmen vor: Man dürfte das Gesicht weiterhin verhüllen zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen, mit einem Motorradhelm oder mit einem Gesichtsschal gegen die Kälte. Für den Tourismus hingegen ist keine Ausnahme vorgesehen.

Wieso lehnen Bundesrat und Parlament die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" ab? Zunächst: In der Schweiz haben wir kein Problem mit der Gesichtsverhüllung. Wir haben keinen Grund, die Verfassung zu ändern und ein schweizweites Verbot einzuführen. Bei uns gibt es nur sehr wenige Frauen, die einen Gesichtsschleier tragen. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Luzern, das ist eigentlich die erste wirkliche in der Schweiz, kommt zum Schluss, dass nur etwa 20-30 Frauen in der Schweiz einen Nikab tragen. Das ist die Verhüllung, die nur noch die Augen sichtbar macht, so ähnlich, wie wir jetzt auch aussehen. Burkas sind hingegen so gut wie gar nicht sichtbar. Die Burka, das ist das blaue Gewand mit dem Stoffgitter vor den Augen, da sieht man auch die Augen nicht. Wenn wir in der Schweiz verschleierten Frauen begegnen, sind das in den meisten Fällen Touristinnen. Diese halten sich vorübergehend in unserem Land auf und stören deshalb unsere Ordnung nicht. Sie müssen sich in der Schweiz auch nicht integrieren, weil sie ja wieder abreisen nach ihrem Ferienaufenthalt. Wenn das Tragen des Gesichtsschleiers jedoch Ausdruck ist von mangelnder Integration, können die kantonalen Migrationsbehörden heute schon die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung entziehen.

Nous n'avons chez nous que 20 ou 30 femmes qui portent un voile intégral. La Suisse n'a pas de problème avec la dissimulation du visage. Il n'y a donc aucune raison de modifier la Constitution pour introduire une interdiction à l'échelle du pays tout entier. Lorsque nous rencontrons des femmes intégralement voilées, ce sont dans la plupart des cas des touristes.

Der zweite Grund, warum der Bundesrat und Parlament die Initiative ablehnen, ist institutioneller Natur. Ich habe es bereits gesagt, die Initiative will ein schweizweites Verbot der Gesichtsverhüllung an allen Orten, die dem Publikum zugänglich sind. Die Nutzung des öffentlichen Raums und damit das Polizeirecht sind eine klare Kompetenz der Kantone. Darauf gründet unsere Bundesverfassung und das hat sich auch gut bewährt. Die Kantone können Fragen im Zusammenhang mit der Verhüllung des Gesichts selber beantworten und dabei ihren Bedürfnissen Rechnung tragen.

So haben zum Beispiel das Tessin oder auch der Kanton St. Gallen auf ihrem Gebiet ein Gesichtsverhüllungsverbot eingeführt. Zudem kennen fünfzehn weitere Kantone Vermummungsverbote bei Kundgebungen oder Sportanlässen. Neun Kantone haben keine Vorschriften zur Verhüllung. Das zeigt: Die Kantone handeln, wenn es aus ihrer Sicht Handlungsbedarf gibt. Andere Kantone verzichten dagegen bewusst auf Regelungen, in denen sie keinen Mehrwert sehen. So verwarf die Glarner Landsgemeinde 2017 ein Gesichtsverhüllungsverbot im öffentlichen Raum. Auch die Parlamente in Zürich und Schwyz sprachen sich dagegen aus. Der Grosse Rat des Kantons Graubünden lehnte 2018 ein Vermummungsverbot im Polizeigesetz ab. Das geltende Recht ermöglicht den Kantonen also bedarfsgerechte Lösungen. Sie können Verhüllungs- und Vermummungsverbote einführen, wenn sie es wollen, oder sie können auch darauf verzichten.

L'initiative veut en revanche imposer à tous les cantons une interdiction complète de se dissimuler le visage. C'est inutile et c'est contraire à notre ordre fédéral, qui fonctionne ici très bien. La compétence pour la loi sur les polices est clairement dans les mains des cantons. C'est précisément dans le domaine du tourisme que les besoins différents des cantons apparaissent clairement - et c'est la troisième raison qui amène le Conseil fédéral et le Parlement à rejeter l'initiative. Certains cantons accueillent de nombreux touristes fortunés des pays arabes. Avec une interdiction de se dissimuler le visage dans toute la Suisse, ces touristes pourraient décider de ne plus passer leurs vacances en Suisse. Car l'initiative ne permet pas d'exception pour les touristes : la liste des exceptions possibles est close. Pour l'économie et les emplois des régions concernées, les conséquences pourraient être lourdes, dans une période déjà difficile.

Aus Sicht des Bundesrats sollen die Kantone weiterhin selber entscheiden können, ob sie die Gesichtsverhüllung einschränken wollen oder nicht. Die Initiative würde ihnen das verunmöglichen. Die Initiative löst auch ihre eigenen Versprechen nicht ein. So soll ein schweizweites Verhüllungsverbot die öffentliche Sicherheit stärken. Der Bundesrat ist anderer Ansicht. Wenn es ein Problem mit der öffentlichen Sicherheit gibt - etwa mit vermummten Demonstranten - können, wie gesagt, die Kantone Regeln erlassen. Und das tun sie auch.

Ein Verhüllungsverbot bietet auch keinen Schutz vor Radikalisierung oder Terrorismus. Dafür gibt es andere, effizientere Instrumente. Der Bundesrat hat zur Bekämpfung von Extremismus eine Mehrsäulenstrategie entwickelt, die auf das Zusammenwirken von Prävention, Repression und vor allem auch auf internationaler Zusammenarbeit beruht. So hat das Parlament Ende September das Strafrecht verschärft, ein Verkaufsverbot von Vorläuferstoffen erlassen, diese Vorläuferstoffe dienen dazu, Bomben zu basteln, dass man sie selber herstellen kann. Und das Bundesgesetz über polizeilichen Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus [PMT] wurde ebenfalls Ende September beschlossen. Da gegen die PMT-Vorlage das Referendum ergriffen wurde, wird das Volk bald dazu Stellung nehmen können, welche Instrumente es zur Terrorabwehr auch wirklich einsetzen will. Zu erwähnen ist auch die enge Zusammenarbeit im Schengenraum, wo die polizeiliche Zusammenarbeit über Neuerungen im SIS, bewusst ausgerichtet auf Extremismus/Terrorismus, und Neuerungen mit der Interoperabilität jetzt bald kommen werden. Diese verbessern wirksam die Verfolgung von Terroristen in ganz Europa.

Ein weiteres Argument der Initiantinnen und Initianten ist die Gleichberechtigung. Die Initiative soll die Stellung derjenigen Frauen stärken, denen ein Nikab aufgezwungen wird. Die bereits erwähnte Untersuchung der Universität Luzern zeigt: Frauen, die in der Schweiz leben, tragen den Gesichtsschleier in der Regel aus freien Stücken oft sogar gegen den Willen des Ehemanns oder des Vaters. Ein Verhüllungsverbot hätte dann höchstens zur Folge, dass sich diese Frauen nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen. Kommt dazu: Wenn es tatsächlich so wäre, dass eine Frau gezwungen wird, einen Gesichtsschleier zu tragen, kann man heute schon wegen Nötigung bestraft werden.

Und schliesslich bringt auch eine neue Verfassungsbestimmung, und das scheint mir wichtig zu sein, keine einheitliche Lösung für die ganze Schweiz und damit auch nicht die erwünschte Rechtssicherheit. Es wird ja oft argumentiert, dass eine neue Verfassungsbestimmung nicht in allen Kantonen nochmals ein Gesetz benötigt. Die Initiative verspricht damit eine schweizweite Lösung, die es aber so nicht geben wird, weil die Initiative eben keine Bundeszuständigkeit begründet. Die Kantone bleiben weiterhin zuständig. Weil ein Verhüllungsverbot, wenn es angenommen würde, müsste von den Kantonen mit Ausführungsgesetzen umgesetzt werden. Anders gesagt: Wenn die Initiative angenommen wird, verpflichtet sie die Kantone, ein Gesetz zu erlassen. Es würde kein Bundesgesetz geben, weil es keine Bundeszuständigkeit gibt. Die kantonalen Regeln würden voraussichtlich nicht überall gleich aussehen. So könnte die exakte Definition der Ausnahmen abweichen oder die Sanktionen für Verstösse verschieden hoch ausfallen. Eine Ausnahme andererseits für den Tourismus wäre hingegen nicht erlaubt, weil die Aufzählung der Ausnahmen abschliessend ist in der Bundesverfassung. Der kantonale Flickenteppich, wie oft moniert wird, würde also nicht beseitigt.

Ein Nein zur Initiative bedeutet nicht, dass man nach Belieben sein Gesicht verhüllen darf. Dafür sorgen die Verbote einzelner Kantone. Ausserdem gibt es Situationen, in denen man das Gesicht des Gegenübers sehen muss - zum Beispiel, um eine Person zweifelsfrei zu identifizieren. Und dieses Ziel will der Bundesrat mit dem vom Parlament beschlossenen indirekten Gegenvorschlag erreichen: Im Unterschied zur Initiative beschränkt sich diese Gesetzesänderung gezielt darauf, Lücken im Bundesrecht zu schliessen, ohne in die Zuständigkeit der Kantone einzugreifen. So stellt der Gegenvorschlag sicher, dass Personen allen Behörden ihr Gesicht zeigen müssen, wenn es für die Identifizierung notwendig ist. Das gilt zum Beispiel im Verkehr mit öffentlichen Amtsstellen, das gilt aber auch im öffentlichen Verkehr. Wer sich weigert, sein Gesicht zu enthüllen, wird mit Busse bestraft. In der Praxis dürfte es aber eher so sein, dass es zu einer Leistungsverweigerung kommt. Wenn Sie also beispielsweise ein Generalabonnement kaufen möchten an einem Schalter und Ihr Gesicht nicht zeigen, dann würde man Ihnen dieses wohl nicht verkaufen.

Zudem sieht der Gegenvorschlag vor, dass die Rechte der Frauen mit gezielten Massnahmen in den Bereichen Integration, Gleichstellung und Entwicklungszusammenarbeit gestärkt werden. Der Gegenvorschlag würde aber nur in Kraft treten, wenn die Initiative abgelehnt wird.

Ich fasse zusammen: Der Bundesrat und das Parlament lehnen die Volksinitiative "Ja zum Verhüllungsverbot" ab. Sie gibt vor, ein Problem zu lösen, das als Randphänomen bezeichnet werden darf. Diese Initiative widerspricht auch einer offenen und liberalen Gesellschaft, und sie greift unnötigerweise in die Kompetenz der Kantone ein, die unterschiedliche Bedürfnisse haben und selber entscheiden können und sollen, ob sie ein Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum wollen oder nicht. Aus diesen Gründen empfehlen Bundesrat und Parlament, die Initiative abzulehnen.

Ich danke Ihnen.

 


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