Pressekonferenz des Bundesrates zur Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten"

Bern, 15.10.2009 - Referat von Bundesrätin Widmer-Schlumpf vom 15. Oktober 2009, Medienzentrum Bundeshaus. Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Am kommenden 29. November sind die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aufgerufen, neben zwei anderen Vorlagen über die Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten" abzustimmen. Wenige Wochen vor dieser wichtigen Abstimmung möchte ich darlegen, weshalb Bundesrat und Parlament die Initiative entschieden ablehnen und Ihnen empfehlen, ein Nein in die Urne zu legen.

Ich freue mich, dies in Begleitung von Herrn Jean Studer und Herrn Thomas Wipf tun zu können. Herr Studer ist Staatsrat des Kantons Neuenburg und Vorsteher des Departements für Justiz, Sicherheit und Finanzen. Herr Pfarrer Wipf ist Vorsitzender des Schweizerischen Rates der Religionen und Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes. Sie werden anschliessend aus ihrer Sicht erläutern, weshalb die Initiative abzulehnen ist.

Die Volksinitiative will den Bau von Minaretten in der gesamten Schweiz verbieten. Artikel 72 der Bundesverfassung soll entsprechend ergänzt werden. Ein solches Verbot stünde in klarem Widerspruch zu zentralen Werten unserer Gesellschaftsordnung und wäre unvereinbar mit grundlegenden Prinzipien und Rechten, die in der Bundesverfassung verankert sind. Dazu gehören namentlich die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot. Der religiöse Frieden in unserem Land würde dadurch unnötig gefährdet. Fundamentale internationale Menschenrechtsabkommen würden verletzt, und der Ruf der Schweiz als Land, das den Grundrechtsschutz ernst nimmt, würde Schaden nehmen.

Ein Minarettverbot löst nicht eines der Probleme, die von den Initiantinnen und Initianten immer wieder benannt werden. Es würde im Gegenteil zahlreiche Probleme und Schwierigkeiten schaffen.

Die Initiantinnen und Initianten machen geltend, ein Bauverbot für Minarette schränke die Religionsfreiheit nicht ein, weil der islamische Glaube ja nicht verboten werde. Dieses Argument ist unzutreffend. Das in Artikel 15 der Bundesverfassung garantierte Grundrecht der Religionsfreiheit schützt nämlich nicht nur die innere religiöse Überzeugung, sondern auch die Bekundung des Glaubens nach aussen. Dazu gehört das Tragen religiöser Symbole oder Kleidung, aber eben auch die Errichtung religiöser Bauten, die den eigenen Glauben sichtbar machen.

Seitens der Initiantinnen und Initianten wird auch gesagt, das Minarett habe mit Religion nichts zu tun, da es im Koran nicht erwähnt werde. Es käme aber niemandem in den Sinn, den religiösen Charakter eines Kirchturms zu bezweifeln, bloss weil die Bibel darüber nicht ausdrücklich etwas sagt.

Das mit der Initiative angestrebte generelle Bauverbot für Minarette schränkt die Religionsfreiheit ein, und zwar in diskriminierender Weise: Die Initiative richtet sich ausschliesslich gegen die Musliminnen und Muslime in der Schweiz. Allen anderen Religionsgemeinschaften bliebe es dagegen unbenommen, im Rahmen des geltenden Rechts religiöse Bauten zu errichten.

Ein solches Bauverbot für Minarette steht nicht nur im Widerspruch zu anderen Bestimmungen der Bundesverfassung. Es verstösst auch gegen grundlegende, für die Schweiz verbindliche Menschenrechtsabkommen. Verletzt würden vor allem die Religionsfreiheit und das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschrechtskonvention (EMRK) und des UNO-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II). Die Schweiz trägt die völkerrechtliche Verantwortung dafür, dass diese Abkommen eingehalten werden. Es wäre kaum verständlich, wenn ausgerechnet die Schweiz, die sich international für die Respektierung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts einsetzt, im eigenen Land diskriminierende Grundrechtsverstösse dulden würde.

Manchmal wird auch gesagt, so lange islamische Staaten andere Religionen diskriminierten, könnten sich die Musliminnen und Muslime in unserem Land auch nicht vorbehaltlos auf die Religionsfreiheit berufen.

Es trifft leider zu, dass religiöse Minderheiten in verschiedenen islamischen Staaten, allerdings nicht nur in diesen, zum Teil massiven Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt sind. Ich frage Sie aber: Wollen wir unsere Werte und unsere Grundrechtsordnung an solchen Massstäben ausrichten? Unrecht wird niemals Recht, bloss weil andernorts ebenfalls Unrecht geschieht! Versuchen wir lieber, unseren hohen Grundrechtsstandards auch in anderen Staaten zum Durchbruch zu verhelfen, als sie bei uns zu senken.

Die Ziele, welche die Initiantinnen und Initianten verfolgen, bleiben diffus. Es wird erklärt, das Bauverbot für Minarette sei eine Absage an Leute, die in der Schweiz die Scharia durchsetzen wollten. Noch pauschaler heisst es, die Islamisierung der Schweiz sei zu stoppen, wobei auf die gestiegene Zahl der Musliminnen und Muslime verwiesen wird. Solche Aussagen diffamieren die ganz grosse Mehrheit der Musliminnen und Muslime in der Schweiz, die unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung vorbehaltlos akzeptieren und ihren Glauben friedlich praktizieren.

Wir sind uns bewusst, dass es auch bei uns Personen gibt, die den Islam missbrauchen, um offen oder versteckt gegen die politische und gesellschaftliche Ordnung der Schweiz zu agieren oder ein anderes Rechtssystem wie zum Beispiel die Scharia zu propagieren.

Die Schweiz ist nicht immun gegen Bedrohungen islamistisch-fundamentalistischer Extremisten. Bund und Kantone verfügen jedoch über geeignete Mittel, um dagegen vorzugehen. Das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit (BWIS) gibt dem Bund Instrumente zur Früherkennung von Gefahren in die Hand. Die Behörden können Ausländerinnen und Ausländern, die unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung missachten, die Einreise verweigern oder sie ausweisen. Im Falle islamistischer Prediger ist dies bereits verschiedentlich geschehen.

Die Initiative dagegen ist untauglich, um solchen Bedrohungen Einhalt zu gebieten. Mit einem Bauverbot für Minarette gäbe es in der Schweiz nicht einen islamistischen Extremisten weniger. Die Annahme, ein solches Verbot bewirke etwas gegen den religiösen Fanatismus, ist völlig verfehlt; es würde wohl im Gegenteil religiösen Fanatikern eher Auftrieb verschaffen.

Wichtig scheint mir, dass Minarette heute keineswegs schrankenlos errichtet werden können. Jedes Minarett braucht eine Baubewilligung. Diese wird nur erteilt, wenn unter anderem die Vorschriften des Raumplanungsrechts, des kantonalen und kommunalen Baurechts sowie des Ortsbildschutzes eingehalten werden. Dazu kommen Lärmschutzvorschriften des Nachbarschaftsrechts und der Umweltschutzgesetzgebung. Diese führten beispielsweise dazu, dass die Baubewilligungen für die Minarette in Wangen bei Olten und Langenthal nur unter der Auflage erteilt wurden, dass keine Beschallung durch Muezzinrufe oder Lautsprecher erfolgt.

Das von den Initiantinnen und Initianten angestrebte zentralistische Bauverbot übergeht die Kantone und Gemeinden. Diese kennen die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und der verschiedenen Religionsgemeinschaften am besten. Deshalb sollen sie in bewährter Weise auch weiterhin über alle religiöse Bauten, einschliesslich der Minarette, entscheiden können. Die Praxis zeigt, dass sie dazu sehr gut in der Lage sind und keine Bevormundung durch den Bund benötigen.

Die Initiative gegen den Bau von Minaretten löst nicht nur keine Probleme. Sie ist kontraproduktiv, da sie den Religionsfrieden in der Schweiz gefährdet. Ich erinnere Sie an die religiösen Sonderbestimmungen in der Bundesverfassung, die zum Teil über hundert Jahre lang in Kraft blieben. Erst 2001 ist es uns gelungen, mit dem Bistumsartikel die letzte dieser Sonderbestimmungen aufzuheben. Ausgerechnet an der Stelle in der Verfassung, wo bis vor kurzem noch der Bistumsartikel stand, soll nun das Bauverbot für Minarette verankert werden. Wir würden damit einen Schritt zurück ins 19. Jahrhundert machen!

Wir fordern von den Musliminnen und Muslimen in der Schweiz, dass sie unsere Rechts- und Gesellschaftsordnung vollumfänglich respektieren. Niemand kann religiöse Vorschriften anrufen, um sich staatlichen Pflichten zu entziehen oder Verbote zu missachten. Wenn wir dies von den Musliminnen und Muslimen verlangen, müssen wir sie aber auch mit Bezug auf die Religionsfreiheit gleich behandeln wie alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes und dürfen sie bei der Ausübung ihrer Religion nicht diskriminieren. Das ist der Kern der Religionsfreiheit, die den Religionsfrieden in der Schweiz erst möglich macht. Diese Errungenschaft wollen und dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Es geht nicht an, alle bei uns lebenden Musliminnen und Muslime unter den Generalverdacht des religiösen Fanatismus zu stellen, wie es die Initiative im Ergebnis tut.

Respekt und Offenheit gegenüber Andersdenkenden ist von den Musliminnen und Muslimen ebenso einzufordern wie von allen anderen religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften in unserem Land. Naive staatliche Toleranz gegenüber religiösen Fanatikern ist fehl am Platz. Eine korrekte und rechtsgleiche Behandlung derer, die unsere Rechtsordnung achten, ist jedoch unsere Pflicht. Dafür setzen sich der Bundesrat und die grosse Mehrheit des Parlamentes ein. Deshalb empfehlen wir den Stimmberechtigten, die Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten abzulehnen und am 29. November mit Nein zu stimmen.


Adresse für Rückfragen

Kommunikationsdienst EJPD, T +41 58 462 18 18


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Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
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Letzte Änderung 20.01.2023

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